Festival für eine gute Zukunft

Zukunftsbilder, Dialoge, Ausstellungen und Neue Musik
Dienstag 23. bis Sonntag 28. April 2013
Jugend- und Bildungshaus St. Arbogast / 6840 Götzis / Österreich
Festival für eine
gute Zukunft

Donnerstag, 16. Mai 2013

Auf Wiedersehen im April 2015!

Die Tage der Utopie 2013 sind vorüber und können eine erfreuliche Bilanz ziehen: 1.350 Besucherinnen und Besucher waren in der Zeit von 23. bis 28.April 2013 nach Arbogast zu den Vorträgen, Dialogen, Workshops und Aufstellungen gekommen. Im Anschluss an die Vorträge und Workshops wurde oft noch lange weiterdiskutiert und auch an den Nachmittagen fanden sich im schönen Innenhof und in der entspannenden Natur rund um das Bildungshaus St.Arbogast Gruppen zusammen, um über das Gehörte zu sprechen und eigene Ideen für eine gute Zukunft zu entwickeln.
Bei den Wirkstätten der Utopie, die 2013 zum ersten Mal eingerichtet wurden, wurden rund 50 Ideen eingereicht. Alle Einreicher erhalten ein Feedback, einzelne Projekte können über den Zeitraum von etwa einem halben Jahr beraten und unterstützt werden.
Die Schülerinnen und Schüler, die am Projekt Schule der Utopie teilgenommen haben, haben ihre Ideen mit der zuständigen Vorarlberger Landesrätin besprochen. Viele Lehrerinnen und Lehrer haben den Vortrag von Margret Rasfeld und ihren Schülerinnen von der Evangelischen Schule Berlin Zentrum besucht und es bleibt zu hoffen, dass einige aus den Funken ein Feuer entfachen und die Schule verändern können. Der Wunsch danach ist groß, zeigten die Reaktionen auf den Vortrag und den Workshop.
Alle Vorträge können angehört und angeschaut werden, das Buch zu den Tagen der Utopie 2013, in dem alle Vortragenden ihre Gedanken zusammengefasst haben, ist zum Preis von 14 Euro ebenfalls noch erhältlich.
Die Musik von Pascal Contet, der für die Tage der Utopie 2013 Akkordeonmusik komponiert und aufgeführt hatte, wird ab Sommer 2013 auf CD erhältlich sein.

Das Team der Tage der Utopie wird sich nun erholen und dann mit der Planung der nächsten Tage der Utopie beginnen, die von 21. bis 26.April 2015 wieder im Bildungshaus St.Arbogast stattfinden werden.

In der Zwischenzeit können Sie uns auf Facebook folgen.

Wir freuen uns auf ein Wiedersehen!


Freitag, 3. Mai 2013

Utopien weiterstricken

Während der Tage der Utopie sind viele Ideen entstanden – manche als erste zarte Funken, manche schon kleine Pflänzchen, die bei den Wirkstätten eingereicht wurden, manche schon sehr konkret ausgearbeitet.
Wir möchten Sie gerne auf dem Laufenden halten und einladen, uns Ihre Utopien mitzuteilen.

Den Anfang macht Beatrix Bertsch:

Brenn.Nessel.Garn Leben.verbinden

Während der Tage der Utopie 2013 reifte der Entschluss “mein geliebtes Brenn.Nessel.Garn” zur Verbundenheit mit zum Dialog zu nehmen. Steffi und Dorothy nahmen die Idee gerne auf. So ging der Knäuel in der Eingangsrunde und dann weiter von Hand zu Hand. Der Knäuel wurde besehen, in den Händen gedrückt, besprochen, der Faden abgewickelt und aufgewickelt und nahm so die Energie der Runde auf.
Während dieser Zeit reifte in mir das Auf.Geben des Knäuels in die Gemeinschaft heran und der Auf.Trag mit anderen gemeinsam etwas mit diesem Knäuel zu tun wurde geboren:
Die Idee, den Knäuel bis zu den nächsten Tagen der Utopie 2015 weiterzureichen.
Kornelia aus dem Südtirol nahm den Knäuel samt Häkelnadel am Sonntag mit. Sie wird ihn bis im Juli im Südtirol weiterreichen und ihn dann wieder zum Dialog mit Steffi und Dorothy nach Arbogast mitbringen. Von dort aus kann, wird, was geworden ist samt Knäuel und Nadel weiterreisen.

Die Idee kurz skizziert: Das Brenn.Nessel.Garn aus Nepal wird bis zu den nächsten Tagen der Utopie im April 2015 im Sinne einer Entfaltung des “Guten.Lebens” und einer “Neuen Arbeit, die verbindet” weiter verwoben, verhäkelt etc.

Die Bitte zum Auf.Trag:
Weiterreichen im Sinne vom “Guten Leben” und der “Neuen Arbeit, die verbindet” bis zu den Tagen der Utopie 2015 in der letzten Aprilwoche. Weiterarbeiten an dem Knäuel, wie und mit was auch immer, verändern, ergänzen, aber das Knäuel bitte nicht auftrennen, zerstören oder auflösen!!!

Ihr könnt gerne eine Nachricht oder Erlebnisbericht auf dem Blog der Tage der Utopie hinterlassen, wenn es durch eure Hände gewandert ist…

Ich wünsche dem Knäuel eine gute Verwandlungsreise!
Beatrix Bertsch

Donnerstag, 2. Mai 2013

Weiterhören, Weiterlesen

Berichte über die Tage der Utopie sind diese und übernächste Woche in Radio Ö1 zu hören:

Samstag 4.Mai ab 17.05 Uhr in der Sendung "Diagonal - Radio für Zeitgenossen" http://oe1.orf.at/programm/336225

Mittwoch 29.Mai ab 21 Uhr im "Salzburger Nachtstudio http://oe1.orf.at/programm/338633


Alle Vortragenden der Tage der Utopie 2013 haben interessante Bücher geschrieben, die beim Büchertisch in Arbogast reissenden Absatz fanden. Eine kleine Auswahl zum Weiterlesen:

Mark Riklin, Selina Ingold (Hg): Stadt als Bühne. Schwanverlag, Rorschach 2010.

Oskar Negt: Nur noch Utopien sind realistisch. Politische Interventionen. Steidl Verlag, Göttingen 2012.

Oskar Negt: Gesellschaftsentwurf Europa. Steidl Verlag, Göttingen 2012.

Niko Paech: Befreiung vom Überfluss. Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie. Oekom Verlag, München 2013.

Kora Kristof: Wege zum Wandel. Wie wir gesellschaftliche Veränderungen erfolgreicher gestalten können. Oekom Verlag, München 2010.

Margret Rasfeld, Peter Spiegel: Wir machen Schule. Murmann Verlag 2012

Stadt als Bühne

Den letzten Vortrag einer reichhaltigen Konferenz zu halten, ist üblicherweise keine dankbare Aufgabe. Zu voll sind dann schon die Köpfe, zu müde der Geist, um noch konzentriert zuhören zu können. Doch Mark Riklin meisterte diese Aufgabe Sonntag Vormittag nicht nur mit Bravour, er zauberte auch noch viele Lächeln in die Gesichter der Besucher.

Zu verdanken war das nicht nur seinem wunderbaren Projekt "Stadt als Bühne. Zur Kunst kommunaler Entwicklung" und seiner Schweizerisch-entspannten Art des Vortragens, sondern auch seiner kleinen Tochter, die nicht länger in der Spielgruppe am anderen Ende des Bildungshauses bleiben, sondern dabei sein wollte, wenn der Papa aus seinem Leben erzählt. So saß sie während des Vortrags still auf der kleinen Bühne und hörte zu oder genoß die Aufmerksamkeit – leider von uns undokumentiert.

Was Mark Riklin, Sozialwissenschaftler und Lehrbeauftragter an Institut für Soziale Arbeit der Fachhochschule St.Gallen zu erzählen hatte, war aber ebenfalls bestens geeignet, für Freude im Publikum zu sorgen. "Humor ist ein Trampolin ist Glück" lautet einer der Leitsprüche von Mark Riklin. Gemeinsam mit seiner Studenten hat er damit in den Jahren 2005 bis 2009 die ehemalige Industriestadt Rorschach am Bodensee aus einer etwas unterkühlten Ratlosigkeit geholt und ein neuartiges Kommunalentwicklungskonzept realisiert.

Die Stadt wurde kurzerhand zur Bühne erklärt und in neun Variationen mit "Stadtfiguren" bespielt, um die Bürgerinnen und Bürger aus der Reserve zu locken.

Variation 1: 
Eine Stadt verzaubern
Über Nacht verwandeln sich im kalten November 2005 fünzig Studierende in Butler, die als Bettflaschen-Kuriere, als Handföner oder als Windschutz-Butler in luftigen Gassen die Menschen innerlich und äusserlich erwärmen und erheitern.
Variation 2:
Lob der Siesta
Am 1. Mai 2006 stehen plötzlich altmodische Liegestühle auf dem Hafenplatz und werden sofort von hunderten Bürgern genußvoll besessen und belegen.

Weitere Variationen und Stadtfiguren







Das Projekt hat die Menschen in Rorschach zum Lachen gebracht und die Kommunikation gefördert. Mit der Variation "Nachbarschaft auf 14 Etagen" wurde eine ganzes Hochhaus miteinander verkuppelt.

Er habe früher als Journalist gearbeitet und auch als Soziologe immer nur mit negativen Nachrichten und Defiziten zu tun gehabt, sagt Mark Riklin. Mittlerweile ist er auf der Suche nach dem Besondern, dem Schönen, den Schätzen einer Stadt und einer Gemeinschaft. 
Deshalb hat er auch die Meldestelle für Glücksmomente eingerichtet und ist Schweizer Landesvertreter des Vereins zur Verzögerung der Zeit.

Mark Riklin unterwegs als Tagträumer




Schüler machen Schule

Wir brauchen Menschen, die freudig und kompetent die Zukunft gestalten und den Paradigmenwechsel vom Machbarkeitswahn zur Nachhaltigkeit vollziehen können. So begann Margret Rasfeld, Leiter der Evangelischen Schule Berliner Zentrum, Samstag Abend ihren Vortrag bei den Tagen der Utopie.
Sie knüpfte damit direkt an den Workshop von Niko Paech am Freitag Vormittag über die Postwachstumsökonomie an.
Bei der Diskussion hatten mehrere Teilnehmerinnen und Teilnehmer darüber gesprochen, wie wichtig Bildung für den Wandel zu einem nachhaltigeren Leben ist.

 Margret Rasfeld hat mit ihrer Gemeinschaftsschule bereits wichtige Schritte in diese Richtung gemacht.

Fehler unseres Schulsystems
Zur Einleitung fasste sie zusammen, was wir alle – egal ob Schüler, ehemalige Schüler oder Eltern – an der Schule erleiden und kritisieren:
– Unser Bildungssystem organisiert das planmäßige Scheitern.
– Wir sortieren Kinder sehr früh in verschiedene Schultypen aus.
– Die Schule ist defizitorientiert.
– Es wird viel zu viel Geld für Nachhilfe (nach der Schule!) ausgegeben – in Deutschland 1,8 Milliarden Euro pro Jahr, in Österreich 120-130 Millionen Euro.
– Fast ein Drittel der Schüler geht mit Angst in die Schule.
– Unser Bildungssystem erzeugt einen innovationsfeindlichen Geist.
– Alle 45 oder 50 Minuten einen anderen Gegenstand aufgezwungen zu bekommen, ist lernfeindlich und demotivierend.
– Gemeinschaft bleibt auf der Strecke, weil ein Lehrer alle 50 Minuten woanders hinrennen muss.

Was Lernen braucht
Lernen braucht Begeisterung und Bedeutsamkeit, sagt Margret Rasfeld, deshalb ist es wichtig, dass die Schülerinnen und Schüler selbst wählen können, was sie wann wie lernen.

Zu den Tagen der Utopie hat Margret Rasfeld die Schülerinnen Jarmila Tressel und Alma De Zarate mitgebracht, die sich unglaublich souverän vor die Besucher der Abendvortrags hingestellt und von ihrer Schule erzählt haben.
"Schule soll Sachen vermitteln, die man im Leben braucht. Mathematische Formeln braucht man später meist nicht", sagte zum Beispiel Alma. "Man sollte lernen, mit Unwägbarkeiten des Lebens umgehen zu können", meinte Jarmila.

In der ESBZ lernen die Schülerinnen und Schüler Mathematik, Deutsch, Englisch oder Geographie nicht im 50 Minuten-Takt, sondern selbstbestimmt und nach eigenem Zeitplan. Dabei werden sie von einem Tutor/einer Tutorin unterstützt. Zusätzlich zu den klassischen Fächern gibt es für die 7. und 8. Schulstufe das Fach "Verantwortung" und für die 8., 9. und 10. Schulstufe das Fach "Herausforderung".
Bei der "Verantwortung" übernehmen die Kinder an einem Nachmittag der Woche eine selbstgewählte Aufgabe für die Gemeinschaft, wie zum Beispiel Vorlesen in einem Kindergarten, Mithilfe in einem Altersheim oder auf einem Bauernhof und dergleichen mehr. Bei der "Herausforderung" müssen sich die Schüler und Schülerinnen für drei Wochen außerhalb Berlins mit nur 150 Euro in der Tasche einer selbst gestellten Aufgabe stellen. Wie anspruchsvoll diese Herausforderungen sind und wie großartig sie gemeistert werden, zeigt ein Video von der Präsentation der Herausforderungen.

Zuhören, Mitreden, Loben
Ganz wichtig ist in der ESBZ auch das Zuhören und Mitreden bei allen Entscheidungen. Einmal in der Woche gibt es einen Klassenrat für die Schüler, einmal trifft sich die ganze Schule, um Dinge zu besprechen und die kommende Woche zu planen. Dabei sind Jugendliche und Lehrer gleichberechtigt, auch die Lehrer müssen aufzeigen, wenn sie sich zu Wort melden. "Den anderen zuhören lernt man normalerweise nicht im Unterricht", sagen die beiden Schülerinnen sehr weise. Wer Probleme hat, bekommt Hilfe, wer etwas besonders gut gemacht hat, wird gelobt. "Das macht einen sehr stolz, weil es nicht einfach ist, wenn man vor 300 Leuten auf die Bühne geht und jemanden lobt, und weil es schön ist, wenn man gelobt wird", sagt Alma strahlend. Und dann fordern die beiden das Publikum auf, herauszukommen und jemanden zu loben, was auch prompt gemacht wird. Es ist wirklich eine tolle Sache und so einfach.

Als überaus positiv sehen die Schülerinnen auch, dass es bis zur 9.Schulstufe keine Noten gibt, sondern detaillierte Zertifikate für jedes abgeschlossene Thema, in denen beschrieben wird, was jemand gemacht hat, was besonders gut war, wo er oder sie sich besonders bemüht hat usw. Nachahmenswert ist auch das Prinzip "Top-Tipp": Zuerst erfahre ich, was ich gut gemacht habe, dann, was ich besser machen kann. Ein Scheitern wirkt damit nicht so deprimierend, sondern als Chance, es beim nächsten Mal besser zu machen.
Wenn man mehr Spaß beim Lernen hat, behält man auch mehr, meint Jarmila, die zuvor in einer Schule war, wo immenser Druck ausgeübt wurde. Obwohl sie eine exzellente Schülerin gewesen sei, die sogar eine Klasse überspringen sollte, sei sie dort immer schlechter geworden, erzählt sie.
Margret Rasfeld meint, man sollte Noten überhaupt abschaffen, dann würden auch das Vergleichen und das Konkurrenzdenken aufhören.

Der Vortrag von Margret Rasfeld und den beiden Schülerinnen war sehr berührend, beim Publikum standen so manchem die Tränen in den Augen. "Wenn Schule bloß überall so sein könnte!", hörte man nach dem Vortrag von vielen.

Schule im Aufbruch
Damit diese Utopie Wirklichkeit wird, reist Margret Rasfeld mit ihren SchülerInnen durch die Lande, hält Weiterbildungen für Lehrer und Mentoren in ihrer Schule ab. Und sie hat gemeinsam mit dem Neurobiologen Gerald Hüther die Plattform "Schule im Aufbruch" gegründet.

 



Schule der Utopie in Vorarlberg
Anfang April hat eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern aus Vorarlberg mit Alexandra Abbrederis über die Schule der Utopie nachgedacht, die Schule in Berlin besucht und ihre Erkenntnisse und Wünsche bei den Tagen der Utopie präsentiert.






Der Besuch in Berlin hat bleibenden Eindruck hinterlassen, wie zwei Beispiele aus den Kurzberichten zeigen:
Saskia Koller: "Als die Schüler von ihren persönlichen Erfahrungen erzählten, fand ich ihr Auftreten anders, als es bei Gleichaltrigen in meiner Schule wirkt. Ihr Selbstbewusstsein und dass sie keine Angst haben, Fehler zu machen, war beeindruckend."
Benjamin Klocker: "Der größte Unterschied zu unserem Schulsystem ist, dass viel mehr auf die Selbstverantwortung der Schüler gebaut wird. Zu meinem Erstaunen schien das Lernen ohne Druck in den altersgemischten Klassen sehr gut zu funktionieren."


Freitag, 26. April 2013

Expedition in ein Land nach dem Überfluss

Dass die fossilen Energien und die Rohstoffe für all unsere Konsumgüter nicht ewig verfügbar sind, wissen wir wohl alle, allein, wir wollen es oft nicht wahrhaben. Und noch weniger vermögen sich viele Menschen vorzustellen, wie eine Welt aussehen könnte, in der kein Benzin, kein Heizöl, kein Kerosin mehr zur Verfügung stehen oder ihre Förderung so teuer geworden ist, dass kein normaler Mensch sie sich mehr leisten kann. Oft macht uns diese Vorstellung Angst. Müssen wir auf alles, was wir in den vergangenen Jahrzehnten entwickelt und erreicht haben, verzichten? Müssen wir hungern, frieren, darben? Müssen wir zurück ins Mittelalter?

Niko Paech, Volkswirt am Lehrstuhl für Produktion und Umwelt der Universität Oldenburg, schaffte es gestern Abend in seinem Vortrag bei den Tagen der Utopie, geradezu Lust auf die Postwachstumsökonomie, wie er sie nennt, zu machen. Und das ist kein Wunder.

Mit dem Foto einer Ziegelwand, vor der ein leerer Einkaufswagen steht und auf der auf einer Plakatwand zu lesen ist "Sorry! The lifestyle you ordered is currently out of stock" stimmte er das Publikum auf einen flotten, unterhaltsamen und anregenden Vortrag ein, der unseren derzeitigen Konsumwahnsinn beschreibt und dann für eine Balance zwischen Konsum, Selbstversorgung und Entrümpelung plädiert.

Der Zuwachs an materiellem Wohlstand führt nicht mehr zu mehr Wohlbefinden, sondern bloß zu mehr Stress, psychischen Krankheiten, noch mehr Arbeit und vor allem: weniger Zeit. Zeit sei jedoch die wichtigste Ressource.

Niko Paech räumt auch mit dem Mythos einer grünen Wirtschaft auf, denn jedes Produkt verbrauche Ressourcen für seine Produktion. Sogenannte ökologische Produkte seien oft nur ein Symbol für Nachhaltigkeit, eine Art moralische Kompensation für einen nicht-nachhaltigen Lebensstil an anderer Stelle, wie zum Beispiel bei der Mobilität. Vor allem das Fliegen sei ein großer CO2-Verursacher, so Niko Paech.
Entscheidend ist, so sagt er, unseren Lebensstil zu ändern. Um das Klimaschutzziel von maximal 2 Grad Zuwachs bei der durchschnittlichen Temperatur einzuhalten, dürfe jeder Mensch nur maximal 2,7 Tonnen CO2-Emission pro Jahr verursachen. Derzeit sind es in Deutschland rund 11 Tonnen!
Erreicht werden könne dies nur durch Suffizienz, also das Weglassen von allem, was wir nicht unbedingt zum Leben brauchen. Diese Reduktion könne sehr befreiend sein, betont Niko Paech und kann sicherlich jeder bestätigen, der sein Leben schon einmal gröber entrümpelt hat – sei es von Materiellem, von Verpflichtungen oder sei es auch nur von Mailinglisten.
In Zukunft könnten wir zum Beispiel 20 Stunden wie bisher in der Industrie, einem Gewerbe oder einer Dienstleistung arbeiten und die übrigen 20 Stunden für die Selbstversorgung und die Erhaltung von bestehenden Dingen aufwenden. Wir könnten Dinge länger nutzen, umnutzen, reparieren, mit anderen teilen oder umfunktionieren. Vieles davon ginge ohne Geld und würde uns zum Teil von der Last, Geld verdienen zu müssen befreien. Firmen könnten Produkte anbieten, die langlebiger sind, modular nutzbar, update-fähig und leicht zu reparieren. Sie werden dadurch weniger Produkte verkaufen, könnten aber zum Beispiel Kurse für das Selbermachen und Reparieren anbieten. Aus Konsumenten würden Prosumenten. – Soweit eine ganz grobe Übersicht über die Welt nach dem Überfluss.
Wie all das geht, hat Niko Paech in dem kleinen Büchlein "Befreiung vom Überfluss" (oekom Verlag 2012) zusammengefasst – und er lebt es so weit möglich selbst.

Sein exzellenter Vortrag bei den Tagen der Utopie kann ab sofort nachgehört werden, außerdem hat er seine Vortragsunterlagen zur Verfügung gestellt, beides zu finden auf der Startseite der Tage der Utopie.

 Vor und nach dem Vortrag von Niko Paech hat der französische Akkordeonist Pascal Contet seine wunderbare Improvisation zur Expedition in ein Land nach dem Überfluss präsentiert. Alle seine Stücke, die er zu den Tagen der Utopie komponiert und aufgeführt hat, können in Kürze als CD erworben werden.

Donnerstag, 25. April 2013

Wege zum Wandel


Wir alle wissen, dass ein Wandel nötig ist und es uns vielfach auch zum Wandel drängt. Doch wie setzen wir ihn um? Wie bringen wir andere dazu, den Weg mitzugehen? Und welche Wandlungsprozesse sind gelungen? Damit hat sich die Volkswirtschafterin Kora Kristof wissenschaftlich im Rahmen ihrer Habilitation auseinandergesetzt und ihre Erkenntnisse im Buch "Wege zum Wandel. Wie wir gesellschaftliche Veränderungen erfolgreicher gestalten können" (2010 oekom Verlag) dokumentiert. Über dieses Thema sprach sie gestern Abend auch bei ihrem Vortrag bei den Tagen der Utopie.
Kora Kristof ist Leiterin der Grundsatzabteilung des deutschen Umweltbundesamtes in Dessau und war zuvor Leiterin der Abteilung Energie, des Themenbereichs „Materialeffizienz und Ressourcenschonung“ sowie Programmleiterin der Forschungsgruppe „Nachhaltiges Produzieren und Konsumieren“ im renommierten Wuppertal Institut.
In ihrem Vortrag gab sie einen Überblick über die Herausforderungen für erfolgreiches Verändern, die psychologischen Strukturen von Veränderungsprozessen, die Anforderungen an die Change Agents und wie man Veränderungsprozesse bewusst gestalten kann. Ein zentraler Aspekt ist dabei, dass Widerstände gegen Veränderungen völlig normal sind und man diese nicht ablehnen oder bekämpfen, sondern in den Prozess integrieren sollte, denn Widerstände sind Hinweise darauf, was an der Idee und am Prozess weiterentwickelt werden muss.
Im Workshop und Dialog am heutigen Vormittag bestätigten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einen weiteren wichtigen Punkt: wenn man den Verhandlungs"gegner" als Menschen anerkennt, der genauso Familie, Hobbies, Überzeugungen, Interessen, Ängste und Bedürfnisse hat, wird die Verhandlung leichter. Trotzdem kann und soll man auf der inhaltlichen Ebene hart bleiben bzw. seinen Weg konsequent fortsetzen.
Eine weitere wichtige Erkenntnis vieler Veränderungsversuche ist, dass Informationen nicht zu Verhaltensveränderungen führen. "Wir argumentieren oft von der Verstandesebene her und von der moralischen Ebene: du sollst, du musst. Aber am meisten hat sich immer verändert, wenn Leute Spaß daran hatten", sagt Kora Kristof. Ein zentrales Element ist für fast alle Menschen, andere, neue Menschen kennenzulernen. Bei den Transition Town Prozessen zum Beispiel sei das etwas gewesen, das den Menschen am besten gefallen habe.

Eingeleitet und ergänzt wurden Vortrag und Diskussion auch gestern Abend wieder von einer musikalischen Aufführung von Pascal Contet am Akkordeon. Er bot seine eigene Darstellung von "Was wollen wir wandeln?" und "Wie wollen wir es tun?".
Nachzuhören ist der Vortrag von Kora Kristof – wie alle Vorträge der Tage der Utopie – unter den hier angeführten Links bzw. eingebetteten Sounddateien.
Pascal Contet nimmt seine Kompositionen zu den Tagen der Utopie im Laufe dieser Woche in St.Arbogast auf, das gesamte Werk wird dann auf CD erscheinen. Stay tuned.